Sachverhalt:
Der Wahlausschuss hat bereits in seiner Sitzung am 19.9.2019 die Einteilung des Wahlgebietes für die Kommunalwahlen 2020 beschlossen. In der Sitzung des Ausschusses um 11.12.2019 wurde ein redaktioneller Fehler geändert. Die Sittarder Straße war versehentlich dem Stimmbezirk Millen zugeordnet und nicht dem Stimmbezirk Tüddern.
Durch das Urteil des Verfassungsgerichtshofes des Landes Nordrhein-Westfalen 35/19 vom 20.12.2019 ist es notwendig geworden, dass sich der Wahlausschuss noch einmal mit der Einteilung des Wahlgebietes beschäftigt.
Bei der Einteilung des Gemeindegebietes in Wahlbezirke ist gemäß § 4 Absatz 2 des Kommunalwahlgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (KWahlG)
„bei der Abgrenzung der Wahlbezirke darauf
Rücksicht zu nehmen, dass räumliche Zusammenhänge möglichst gewahrt werden.
Sind Bezirke nach der Gemeindeordnung vorhanden, so soll die Bezirkseinteilung
nach Möglichkeit eingehalten werden. Die Abweichung von der durchschnittlichen
Einwohnerzahl der Wahlbezirke im Wahlgebiet darf nicht mehr als 25 vom Hundert
nach oben oder unten betragen. Bei der Ermittlung der Einwohnerzahl bleibt
unberücksichtigt, wer nicht Deutscher im Sinne von Artikel 116 Absatz 1 des
Grundgesetzes ist oder nicht die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates
der Europäischen Union besitzt.“
Die Abweichung bezogen auf
die Einwohner stellt sich in der Gemeinde Selfkant wie folgt dar:
Nr |
Wahlbezirk |
Einwohner |
Abweichung zu Mittelwert |
1 |
Havert |
721 |
2,21% |
2 |
Schalbruch |
623 |
15,50% |
3 |
Isenbruch |
634 |
14,01% |
4 |
Hillensberg |
606 |
17,81% |
5 |
Höngen I |
761 |
-3,22% |
6 |
Höngen II |
757 |
-2,67% |
7 |
Saeffelen I |
578 |
21,60% |
8 |
Saeffelen II |
628 |
14,82% |
9 |
Süsterseel I |
790 |
-7,15% |
10 |
Süsterseel II |
782 |
-6,06% |
11 |
Tüddern-Millen |
912 |
-23,70% |
12 |
Tüddern II |
920 |
-24,78% |
13 |
Tüddern III |
844 |
-14,47% |
14 |
Wehr |
766 |
-3,89% |
|
Summe |
10.322 |
|
|
Mittelwert |
737 |
0,00% |
Der Verfassungsgerichtshof
hat zu § 4 Abs. 2 KWahlG als Leitsätze entschieden:
„Bei
einer sachgerechten, an den Geboten der Wahlrechtsgleichheit sowie der
Chancengleichheit der Wahlbewerber und -bewerberinnen orientierten Auslegung
der § 4 Abs. 2 Satz 3 und 4 KWahlG NRW hat oberstes Ziel der Zuschnitt
möglichst gleich großer Wahlbezirke zu sein.
Dabei
ist eine Abweichungstoleranz von bis zu 15% bezogen auf die Anzahl der
Bewohnerinnen und Bewohner mit deutscher Staatsangehörigkeit bzw. der
Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedstaates in der Regel vom
Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers schon deshalb gedeckt, weil gewisse
Abweichungen aufgrund des stetigen Bevölkerungswandels unvermeidbar sind.
Die
(volle) Ausschöpfung der Abweichungstoleranz von 25% aus § 4 Abs. 2 Satz 3
KWahlG NRW ermöglicht die Bildung von Wahlbezirken, bei denen der größte
Wahlbezirk mehr als das 1,5fache der Einwohnerzahl der nach § 4 Abs. 2 Satz 4
KWahlG NRW zu berücksichtigenden Bevölkerung des kleinsten Wahlbezirks umfasst
(vgl. zu dieser äußersten Grenze auch § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BWahlG). Die
Ausschöpfung dieser Grenze, die grundsätzlich einen nicht unerheblichen
Eingriff in die Wahlrechts- und die Chancengleichheit mit sich bringt, bedarf
deshalb in der Regel der Rechtfertigung
durch verfassungslegitime Gründe.“
Aus der Übersicht über die Wahlbezirke ist ersichtlich, dass die 15%-ige Abweichungstoleranz in den Wahlbezirken 2-Schalbruch, 4-Hillensberg, 7-Saeffelen I. 11-Tüddern-Millen und 12-Tüddern II überschritten wird.
In der detaillierten Begründung des Urteils wird weiter ausgeführt:
„Keiner solchen Rechtfertigung
bedarf es indes, wenn sich zwar nach der gemäß § 4 Abs. 2 Satz 4 KWahlG NRW
ermittelten Einwohnerzahl eine Abweichung von mehr als 15% zur
durchschnittlichen Einwohnerzahl aller Wahlbezirke ergibt, dies aber bei
Berücksichtigung der Zahl der Wahlberechtigten im Verhältnis zur
durchschnittlichen Zahl der Wahlberechtigten nicht der Fall ist. Denn der dem
Erfolgswert einer Stimme abträgliche Effekt einer überdurchschnittlichen
Bevölkerungszahl eines Wahlbezirks wird gemindert, wenn dort auch
überdurchschnittlich viele Minderjährige
wohnhaft sind, weil dann die Zahl der Wahlberechtigten den Durchschnitt weniger
weit übersteigt. Der Einfluss des unterschiedlichen Minder-jährigenanteils auf
die Erfolgschance einer Stimme wird daher erst sichtbar, wenn man die Zahl der
Wahlberechtigten in den Wahlbezirken vergleicht und diese mit den vom
Gesetzgeber herangezogenen Bevölkerungszahlen in Beziehung setzt (vgl. BVerfG,
Beschluss vom 31. Januar 2012 – 2 BvC 3/11 –, BVerfGE 130, 212 = juris, Rn. 79;
vgl. ferner BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2008 – 8 C 1.08 –, BVerwGE 132, 166
= juris, Rn. 48). Die einfachgesetzlich vorgegebene Grenze von 25% bezogen auf
die nach § 4 Abs. 2 Satz 3 und 4 KWahlG NRW berechneten Einwohnerzahlen sind
selbstredend gleichwohl in jedem Fall zu beachten.“
Die Abweichung bezogen auf die Wahlberechtigten stellt sich wie folgt dar:
Nr |
Wahlbezirk |
Wahlberechtigte |
Abweichung zu Mittelwert |
1 |
Havert |
626 |
-0,02% |
2 |
Schalbruch |
541 |
13,56% |
3 |
Isenbruch |
532 |
15,00% |
4 |
Hillensberg |
523 |
16,43% |
5 |
Höngen I |
665 |
-6,25% |
6 |
Höngen II |
649 |
-3,70% |
7 |
Saeffelen I |
500 |
20,11% |
8 |
Saeffelen II |
500 |
20,11% |
9 |
Süsterseel I |
688 |
-9,93% |
10 |
Süsterseel II |
653 |
-4,34% |
11 |
Tüddern-Millen |
776 |
-23,99% |
12 |
Tüddern II |
786 |
-25,59% |
13 |
Tüddern III |
681 |
-8,81% |
14 |
Wehr |
642 |
-2,58% |
|
Summe |
8762 |
|
|
Mittelwert |
626 |
0,00% |
Bis auf den Wahlbezirk 2-Schalbruch ist die Abweichung von über 15% also weiterhin zu rechtfertigen.
Der Verfassungsgerichtshof sagt hierzu, dass ein Rechtfertigungsgrund das gesetzlich verankerte Ziel der Wahrung der räumlichen Zusammenhänge sein kann:
„Hinter diesem Aspekt müssen indes verfassungsrechtliche Ziele stehen,
die der Wahlrechts- und Chancengleichheit vergleichbares Gewicht besitzen. Dies
kann etwa die Erleichterung der Kommunikation zwischen den Wählern untereinander
sowie mit den Mandatsbewerbern und damit die Förderung der politischen
Willensbildung im Sinne der Verwirklichung des Demokratieprinzips sein (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 2001 – 2 BvR 1252/99 u. a. –, NVwZ 2002, 71 =
juris, Rn. 27; vgl. ferner StGH BW, Urteil vom 22. Mai 2012 – GR 11/11 –,
LVerfGE 23, 2 = juris, Rn. 45). Angesichts der Vielzahl der Wahlbezirke
innerhalb einer Kommune dürfte dieser Aspekt indes nur bei weit
auseinanderliegenden Ortschaften in einer großflächigen Gebietskörperschaft zum
Tragen kommen (vgl. Europäische Kommission für Demokratie durch Recht des
Europarats [Venedig-Kommission], Verhaltenskodex für Wahlen, Leitlinien und
Erläuternder Bericht, angenommen von der Venedig-Kommission auf ihrer 52.
Plenarsitzung [Venedig, 18. - 19. Oktober 2002], Seite 7,
https://www.venice.coe. int/, abgerufen am 26. November 2019; BVerwG, Urteil
vom 22. Oktober 2008 – 8 C 1.08 –, BVerwGE 132, 166 = juris, Rn. 55). Zudem
kommt in Betracht, im ländlichen Bereich auf gewachsene Ortsstrukturen
Rücksicht zu nehmen, um die Wahlbereitschaft zu erhöhen. Innerhalb dieses
Rahmens können auch Integrationsvorgänge Eingang in die Gewichtung nehmen (vgl.
BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2008 – 8 C 1.08 –, BVerwGE 132, 166 = juris, Rn.
48).
[…]
Ein
Verstoß der Wahlbezirkseinteilung gegen das Demokratieprinzip kommt dann in
Betracht, wenn Wahlbezirke so geschnitten sind, dass eine Kommunikation
zwischen den Wählerinnen und Wählern untereinander sowie mit den Mandatsbewerbern und
-bewerberinnen erschwert und damit die politische Willensbildung beeinträchtigt
ist. Dies könnte gegeben sein, wenn der Wahlbezirkszuschnitt eine Bündelung des
politischen Willens der Einzelnen gar nicht oder nur unter erheblich
erschwerten Bedingungen zulässt. Denkbar wäre dies beispielsweise bei einem
sehr schmalen und langen Wahlbezirk, bei einem Wahlbezirk mit starken
Verkehrsbarrieren oder bei einem Wahlbezirk, der aus lauter Einzelflecken
zusammengesetzt ist, ohne ein zusammenhängendes Gebiet zu bilden (vgl. BVerfG,
Beschluss vom 18. Juli 2001 – 2 BvR 1252/99 u. a. –, NVwZ 2002, 71 = juris, Rn.
27). Es ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass die Vorgaben des § 4
Abs. 2 Satz 3 und 4 KWahlG NRW einer Wahlbezirkseinteilung durch die
Wahlausschüsse entgegenstehen, die die Anforderungen des Demokratieprinzips
erfüllt.
Betrachtet man nun den Wahlbezirk 4-Hillensberg an, so unterschreiten die Einwohner den Mittelwert um rd. 18 %. Die einzig ersichtliche Möglichkeit, die Einwohnerzahl des Wahlbezirks zu erhöhen, wäre es, Teile des nächstgelegenen Ortes, Wehr, dem Wahlbezirk Hillensberg zuzuschlagen. Gemessen von der Bergstraße 2, Hillensberg bis zur Landstraße 1, Wehr, liegen zwischen den beiden Orten 1.6 km freie Feldlage. Von Ortszentrum zu Ortszentrum beträgt die Distanz 2,8 km.
Von einem räumlichen Zusammenhang zwischen den beiden Orten kann also keine Rede sein. Die Kommunikation zwischen den Wählern untereinander sowie den Wahlbewerbern wäre deutlich erschwert, gerade an diesem Beispiel deutlich wird, dass die Gemeinde Selfkant eine großflächige Gebietskörperschaft, die weit auseinanderliegende Ortschaften hat.
Die separat entstanden und gewachsenen Ortsstrukturen kommen erschwerend hinzu. Bei einer Vermischung der Orte in einem Wahlbezirk wäre mit einem Rückgang der Wahlbeteiligung zu rechnen.
In Wahlbezirk 7-Saeffelen I beträgt die Abweichung zum Mittelwert 21,60 %. Eine Verschiebung von 8- Saeffelen II scheidet aus, da hierdurch dieser über 15 % steigen würden. Das Problem würde lediglich verlagert.
Der Wahlbezirk 7 grenzt an die Ortschaft Höngen. Von der räumlichen Lage her wäre also eine Verschiebung möglich. Nach dem Urteil sollen aber auch gewachsene Ortsstrukturen berücksichtigt werden. Wie schon § 3 der Hauptsatzung der Gemeinde Selfkant zu entnehmen ist, wird das Gemeindegebiet in Ortschaften eingeteilt. Für jede Ortschaft wird ein Ortsvorsteher gewählt. Nach der Anlage zu § 3 Abs. 1 der Hauptsatzung der Gemeinde Selfkant sind Saeffelen mit Heilder und Höngen mit Großwehrhagen, Kleinwehrhagen und Dieck jeweils getrennte Ortschaften.
Auch historisch gesehen haben sich Saeffelen und Höngen getrennt voneinander entwickelt. Bis 1969 gehört der Ort Saeffelen zur Gemeinde Waldfeucht.
Die Wahlbezirke 11-Tüddern-Millen (23,7%) und 12-Tüddern II (24,78%) übersteigen ebenfalls die 15%ige Abweichung. Die räumliche Nähe zur Ortschaft Millen wird bereits seit einiger Zeit genutzt, um die Wahlberechtigtenzahlen pro Wahlbezirk in Tüddern an den Durchschnitt anzugleichen. Hier werden in einem Wahlbezirk zwei Stimmbezirke gebildet. Eine weitere Ausdehnung in andere Orte ist nicht sinnvoll und würde die räumlichen Zusammenhänge nicht wiederspiegeln.
So beträgt die Entfernung zwischen den Ortsrändern von Tüddern und Süsterseel rund 2 km. Ortskern zu Ortskern ca. 4,5 km.
Die Entfernung zwischen den Ortsrändern von Tüddern und Höngen beträgt rund rund 1,5 km. Ortskern zu Ortskern ca. 3,5 km.
Die Einteilung der Wahlbezirke obliegt den kommunalen Wahlausschüssen als unabhängige Wahlorgane. Die Abwägung konkreter räumlicher Gegebenheiten mit den verfassungsrechtlichen Geboten der Wahlrechts- und Chancengleichheit ist dementsprechend ausschließlich vor Ort vorzunehmen.
Zur Verdeutlichung der Argumentation ist eine Karte, aus der die Wahlbezirkseinteilung ersichtlich ist und die Hauptsatzung der Gemeinde Selfkant beigefügt.
Beschlussvorschlag:
Der Wahlausschuss hält auch nach rechtlicher Würdigung des Urteils des Verfassungsgerichtshofes NRW vom 20.12.2019 an der bereits beschlossenen Einteilung der Wahlbezirke für die Kommunalwahl 2020 fest und folgt der Argumentation des Sachverhalts.