Beschluss: einstimmig beschlossen

Beschlussvorschlag:

Der Wahlausschuss beschließt nach rechtlicher Würdigung des Urteils des Verfassungsgerichtshofes NRW vom 20.12.2019 folgende Änderung der bisherigen Einteilung: Die Pfarrer-Fuhs-Straße und die Joseph-Prinz-Straße werden vom Wahlbezirk 12 Tüddern II in den Wahlbezirk 13 Tüddern III verschoben. Im weiteren schließt sich der Wahlausschuss den im Sachverhalt gegebenen Begründungen an.

 

 

 


Sachverhalt:

 

 

Der Wahlausschuss hat bereits in seiner Sitzung am 19.9.2019 die Einteilung des Wahlgebietes für die Kommunalwahlen 2020 beschlossen. In der Sitzung des Ausschusses um 11.12.2019 wurde ein redaktioneller Fehler geändert. Die Sittarder Straße war versehentlich dem Stimmbezirk Millen zugeordnet und nicht dem Stimmbezirk Tüddern.

 

Durch das Urteil des Verfassungsgerichtshofes des Landes Nordrhein-Westfalen 35/19 vom 20.12.2019 ist es notwendig geworden, dass sich der Wahlausschuss noch einmal mit der Einteilung des Wahlgebietes beschäftigt.

 

Bei der Einteilung des Gemeindegebietes in Wahlbezirke ist gemäß § 4 Absatz 2 des Kommunalwahlgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (KWahlG)

 

„bei der Abgrenzung der Wahlbezirke darauf Rücksicht zu nehmen, dass räumliche Zusammenhänge möglichst gewahrt werden. Sind Bezirke nach der Gemeindeordnung vorhanden, so soll die Bezirkseinteilung nach Möglichkeit eingehalten werden. Die Abweichung von der durchschnittlichen Einwohnerzahl der Wahlbezirke im Wahlgebiet darf nicht mehr als 25 vom Hundert nach oben oder unten betragen. Bei der Ermittlung der Einwohnerzahl bleibt unberücksichtigt, wer nicht Deutscher im Sinne von Artikel 116 Absatz 1 des Grundgesetzes ist oder nicht die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union besitzt.“

 

 

 

Die Abweichung bezogen auf die Einwohner stellt sich in der Gemeinde Selfkant wie folgt dar:

 

 

Nr

Wahlbezirk

Einwohner

Abweichung

zu Mittelwert

1

Havert

721

2,21%

2

Schalbruch

623

15,50%

3

Isenbruch

634

14,01%

4

Hillensberg

606

17,81%

5

Höngen I

761

-3,22%

6

Höngen II

757

-2,67%

7

Saeffelen I

578

21,60%

8

Saeffelen II

628

14,82%

9

Süsterseel I

790

-7,15%

10

Süsterseel II

782

-6,06%

11

Tüddern-Millen

912

-23,70%

12

Tüddern II

920

-24,78%

13

Tüddern III

844

-14,47%

14

Wehr

766

-3,89%

 

Summe

10.322

 

 

Mittelwert

737

0,00%

 

Der Verfassungsgerichtshof hat zu § 4 Abs. 2 KWahlG als Leitsätze entschieden:

 

„Bei einer sachgerechten, an den Geboten der Wahlrechtsgleichheit sowie der Chancengleichheit der Wahlbewerber und -bewerberinnen orientierten Auslegung der § 4 Abs. 2 Satz 3 und 4 KWahlG NRW hat oberstes Ziel der Zuschnitt möglichst gleich großer Wahlbezirke zu sein.

 

Dabei ist eine Abweichungstoleranz von bis zu 15% bezogen auf die Anzahl der Bewohnerinnen und Bewohner mit deutscher Staatsangehörigkeit bzw. der Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedstaates in der Regel vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers schon deshalb gedeckt, weil gewisse Abweichungen aufgrund des stetigen Bevölkerungswandels unvermeidbar sind.

 

Die (volle) Ausschöpfung der Abweichungstoleranz von 25% aus § 4 Abs. 2 Satz 3 KWahlG NRW ermöglicht die Bildung von Wahlbezirken, bei denen der größte Wahlbezirk mehr als das 1,5fache der Einwohnerzahl der nach § 4 Abs. 2 Satz 4 KWahlG NRW zu berücksichtigenden Bevölkerung des kleinsten Wahlbezirks umfasst (vgl. zu dieser äußersten Grenze auch § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BWahlG). Die Ausschöpfung dieser Grenze, die grundsätzlich einen nicht unerheblichen Eingriff in die Wahlrechts- und die Chancengleichheit mit sich bringt, bedarf deshalb in der Regel der Rechtfertigung durch verfassungslegitime Gründe.“

 

Aus der Übersicht über die Wahlbezirke ist ersichtlich, dass die 15%-ige Abweichungstoleranz in den Wahlbezirken 2-Schalbruch, 4-Hillensberg, 7-Saeffelen I. 11-Tüddern-Millen und 12-Tüddern II überschritten wird.

 

In der detaillierten Begründung des Urteils wird weiter ausgeführt:

 

„Keiner solchen Rechtfertigung bedarf es indes, wenn sich zwar nach der gemäß § 4 Abs. 2 Satz 4 KWahlG NRW ermittelten Einwohnerzahl eine Abweichung von mehr als 15% zur durchschnittlichen Einwohnerzahl aller Wahlbezirke ergibt, dies aber bei Berücksichtigung der Zahl der Wahlberechtigten im Verhältnis zur durchschnittlichen Zahl der Wahlberechtigten nicht der Fall ist. Denn der dem Erfolgswert einer Stimme abträgliche Effekt einer überdurchschnittlichen Bevölkerungszahl eines Wahlbezirks wird gemindert, wenn dort auch überdurchschnittlich viele Minderjährige wohnhaft sind, weil dann die Zahl der Wahlberechtigten den Durchschnitt weniger weit übersteigt. Der Einfluss des unterschiedlichen Minder-jährigenanteils auf die Erfolgschance einer Stimme wird daher erst sichtbar, wenn man die Zahl der Wahlberechtigten in den Wahlbezirken vergleicht und diese mit den vom Gesetzgeber herangezogenen Bevölkerungszahlen in Beziehung setzt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31. Januar 2012 – 2 BvC 3/11 –, BVerfGE 130, 212 = juris, Rn. 79; vgl. ferner BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2008 – 8 C 1.08 –, BVerwGE 132, 166 = juris, Rn. 48). Die einfachgesetzlich vorgegebene Grenze von 25% bezogen auf die nach § 4 Abs. 2 Satz 3 und 4 KWahlG NRW berechneten Einwohnerzahlen sind selbstredend gleichwohl in jedem Fall zu beachten.“

 

Die Abweichung bezogen auf die Wahlberechtigten stellt sich wie folgt dar:

 

Nr

Wahlbezirk

Wahlberechtigte

Abweichung

zu Mittelwert

1

Havert

626

-0,02%

2

Schalbruch

541

13,56%

3

Isenbruch

532

15,00%

4

Hillensberg

523

16,43%

5

Höngen I

665

-6,25%

6

Höngen II

649

-3,70%

7

Saeffelen I

500

20,11%

8

Saeffelen II

500

20,11%

9

Süsterseel I

688

-9,93%

10

Süsterseel II

653

-4,34%

11

Tüddern-Millen

776

-23,99%

12

Tüddern II

786

-25,59%

13

Tüddern III

681

-8,81%

14

Wehr

642

-2,58%

 

Summe

8762

 

 

Mittelwert

626

0,00%

 

Bis auf den Wahlbezirk 2-Schalbruch ist die Abweichung von über 15% also weiterhin zu rechtfertigen.

 

Der Verfassungsgerichtshof sagt hierzu, dass ein Rechtfertigungsgrund das gesetzlich verankerte Ziel der Wahrung der räumlichen Zusammenhänge sein kann:

 

Hinter diesem Aspekt müssen indes verfassungsrechtliche Ziele stehen, die der Wahlrechts- und Chancengleichheit vergleichbares Gewicht besitzen. Dies kann etwa die Erleichterung der Kommunikation zwischen den Wählern untereinander sowie mit den Mandatsbewerbern und damit die Förderung der politischen Willensbildung im Sinne der Verwirklichung des Demokratieprinzips sein (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 2001 – 2 BvR 1252/99 u. a. –, NVwZ 2002, 71 = juris, Rn. 27; vgl. ferner StGH BW, Urteil vom 22. Mai 2012 – GR 11/11 –, LVerfGE 23, 2 = juris, Rn. 45). Angesichts der Vielzahl der Wahlbezirke innerhalb einer Kommune dürfte dieser Aspekt indes nur bei weit auseinanderliegenden Ortschaften in einer großflächigen Gebietskörperschaft zum Tragen kommen (vgl. Europäische Kommission für Demokratie durch Recht des Europarats [Venedig-Kommission], Verhaltenskodex für Wahlen, Leitlinien und Erläuternder Bericht, angenommen von der Venedig-Kommission auf ihrer 52. Plenarsitzung [Venedig, 18. - 19. Oktober 2002], Seite 7, https://www.venice.coe. int/, abgerufen am 26. November 2019; BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2008 – 8 C 1.08 –, BVerwGE 132, 166 = juris, Rn. 55). Zudem kommt in Betracht, im ländlichen Bereich auf gewachsene Ortsstrukturen Rücksicht zu nehmen, um die Wahlbereitschaft zu erhöhen. Innerhalb dieses Rahmens können auch Integrationsvorgänge Eingang in die Gewichtung nehmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2008 – 8 C 1.08 –, BVerwGE 132, 166 = juris, Rn. 48).

 

[…]

 

Ein Verstoß der Wahlbezirkseinteilung gegen das Demokratieprinzip kommt dann in Betracht, wenn Wahlbezirke so geschnitten sind, dass eine Kommunikation zwischen den Wählerinnen und Wählern untereinander sowie mit den Mandatsbewerbern und -bewerberinnen erschwert und damit die politische Willensbildung beeinträchtigt ist. Dies könnte gegeben sein, wenn der Wahlbezirkszuschnitt eine Bündelung des politischen Willens der Einzelnen gar nicht oder nur unter erheblich erschwerten Bedingungen zulässt. Denkbar wäre dies beispielsweise bei einem sehr schmalen und langen Wahlbezirk, bei einem Wahlbezirk mit starken Verkehrsbarrieren oder bei einem Wahlbezirk, der aus lauter Einzelflecken zusammengesetzt ist, ohne ein zusammenhängendes Gebiet zu bilden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 2001 – 2 BvR 1252/99 u. a. –, NVwZ 2002, 71 = juris, Rn. 27). Es ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass die Vorgaben des § 4 Abs. 2 Satz 3 und 4 KWahlG NRW einer Wahlbezirkseinteilung durch die Wahlausschüsse entgegenstehen, die die Anforderungen des Demokratieprinzips erfüllt.

 

Betrachtet man nun den Wahlbezirk 4-Hillensberg an, so unterschreiten die Einwohner den Mittelwert um rd. 18 %. Die einzig ersichtliche Möglichkeit, die Einwohnerzahl des Wahlbezirks zu erhöhen, wäre es, Teile des nächstgelegenen Ortes, Wehr, dem Wahlbezirk Hillensberg zuzuschlagen. Gemessen von der Bergstraße 2, Hillensberg bis zur Landstraße 1, Wehr, liegen zwischen den beiden Orten 1.6 km freie Feldlage. Von Ortszentrum zu Ortszentrum beträgt die Distanz 2,8 km.

 

Von einem räumlichen Zusammenhang zwischen den beiden Orten kann also keine Rede sein. Die Kommunikation zwischen den Wählern untereinander sowie den Wahlbewerbern wäre deutlich erschwert, gerade an diesem Beispiel deutlich wird, dass die Gemeinde Selfkant eine großflächige Gebietskörperschaft, die weit auseinanderliegende Ortschaften hat.

 

Die separat entstanden und gewachsenen Ortsstrukturen kommen erschwerend hinzu. Bei einer Vermischung der Orte in einem Wahlbezirk wäre mit einem Rückgang der Wahlbeteiligung zu rechnen.

 

In Wahlbezirk 7-Saeffelen I beträgt die Abweichung zum Mittelwert 21,60 %. Eine Verschiebung von 8- Saeffelen II scheidet aus, da hierdurch dieser über 15 % steigen würden. Das Problem würde lediglich verlagert.

 

Der Wahlbezirk 7 grenzt an die Ortschaft Höngen. Von der räumlichen Lage her wäre also eine Verschiebung möglich. Nach dem Urteil sollen aber auch gewachsene Ortsstrukturen berücksichtigt werden. Wie schon § 3 der Hauptsatzung der Gemeinde Selfkant zu entnehmen ist, wird das Gemeindegebiet in Ortschaften eingeteilt. Für jede Ortschaft wird ein Ortsvorsteher gewählt. Nach der Anlage zu § 3 Abs. 1 der Hauptsatzung der Gemeinde Selfkant sind Saeffelen mit Heilder und Höngen mit Großwehrhagen, Kleinwehrhagen und Dieck jeweils getrennte Ortschaften.

 

Auch historisch gesehen haben sich Saeffelen und Höngen getrennt voneinander entwickelt. Bis 1969 gehört der Ort Saeffelen zur Gemeinde Waldfeucht.

 

Die Wahlbezirke 11-Tüddern-Millen (23,7%) und 12-Tüddern II (24,78%) übersteigen ebenfalls die 15%ige Abweichung. Die räumliche Nähe zur Ortschaft Millen wird bereits seit einiger Zeit genutzt, um die Wahlberechtigtenzahlen pro Wahlbezirk in Tüddern an den Durchschnitt anzugleichen. Hier werden in einem Wahlbezirk zwei Stimmbezirke gebildet. Eine weitere Ausdehnung in andere Orte ist nicht sinnvoll und würde die räumlichen Zusammenhänge nicht wiederspiegeln.

 

So beträgt die Entfernung zwischen den Ortsrändern von Tüddern und Süsterseel rund 2 km. Ortskern zu Ortskern ca. 4,5 km.

 

Die Entfernung zwischen den Ortsrändern von Tüddern und Höngen beträgt rund rund 1,5 km. Ortskern zu Ortskern ca. 3,5 km.

 

 

Die Einteilung der Wahlbezirke obliegt den kommunalen Wahlausschüssen als unabhängige Wahlorgane. Die Abwägung konkreter räumlicher Gegebenheiten mit den verfassungsrechtlichen Geboten der Wahlrechts- und Chancengleichheit ist dementsprechend ausschließlich vor Ort vorzunehmen.

 

Zur Verdeutlichung der Argumentation ist eine Karte, aus der die Wahlbezirkseinteilung ersichtlich ist und die Hauptsatzung der Gemeinde Selfkant beigefügt.

 

 

Herr Corsten begrüßte die Anwesenden Mitglieder des Ausschusses und übergab das Wort an Herrn Schwartzmanns. Herr Schwartzmanns erläuterte Konsequenzen des Urteils und die Empfehlung der Kommunalaufsicht des Kreises Heinsberg, die Wahlberechtigten des Wahlbezirke 12-Tüddern II und 13 Tüddern III zu mitteln. Dies kann durch die Verschiebung der Pfarrer-Fuhs-Straße und der Joseph-Prinz-Straße von Wahlbezirk 12 nach 13 erreicht werden.

 

Hierüber wurde kurz diskutiert.

 

Alsdann ließ der Bürgermeister über den geänderten Beschlussvorschlag abstimmen.

 

 


Abstimmungsergebnis:

 

einstimmig